Wir haben Simon Dietzel interviewt, Doktorand am Lehrstuhl für Renaturierungsökologie an der Technischen Universität München. Simon hat das Projekt „blühende Bänder“ konzipiert und umgesetzt. Es beschäftigt sich mit der Fragestellung wie und ob sich das Bepflanzen von Straßenrändern im Stadtgebiet auf die Population von Insekten auswirkt.
Das Projekt wurde in Abstimmung mit der Stadt München und in Kooperation mit Green City e.V. realisiert. Ende 2023 wurden Ergebnisse veröffentlicht.
Mein Aufgabenfeld bestand aus der Flächenauswahl und Planung des Versuchsaufbaus in Abstimmung mit der Stadt München sowie der Konzipierung einer Blühmischung, die an den städtischen Straßenrändern auch tatsächlich funktioniert. Anschließen kam die Feldarbeit, wie wir Ökolog*innen das nennen. Sie umfasst unter anderem die Erfassung der Pflanzen und Bestäuber, insbesondere der Wildbienen, auf den Versuchsflächen.
Dies wurde ergänzt durch die fruchtbare Kooperation mit Green City, zu der ich wissenschaftliche Informationen und immer wieder Zwischenberichte in Form von Vorträgen und Workshops beigesteuert habe. Im Moment, am Ende des Projekts, werden die gesammelten Daten in Form von wissenschaftlichen Artikeln in internationalen Fachjournalen publiziert, aber auch deutsche Veröffentlichungen sind schon erschienen.
Eine Intensivierung der Landnutzung, also u.a. die sogenannte Urbanisierung durch das Wachstum von Städten nach außen oder Nachverdichtung im Innenbereich, hat negative Folgen für die Diversität von lokalen Pflanzen- und Insektenpopulationen. Ökologisch wertvolle Habitate werden während dieser Prozesse degradiert oder komplett zerstört, was einen erheblichen Teil des Insektensterbens ausmacht. Ein Konzept, das dieser Entwicklung etwas entgegensetzen kann, wird als „Grüne Infrastruktur“ bezeichnet. Das sieht vor, linienhafte Infrastrukturbauten wie Dämme, Bahn- und Stromtrassen oder eben auch Straßen so umzugestalten, dass diese als Ersatzlebensräume oder Ausbreitungskorridore von Pflanzen und Insekten genutzt werden können. Man kann sich das vorstellen wie ein großes grünes Netzwerk, das die Landschaft durchzieht. Erreicht werden kann diese Aufwertung z.B. durch eine veränderte Begrünung und Pflege der Randbereiche. Es gab dazu in den letzten Jahren schon wissenschaftliche Forschung. Es fehlt allerdings u.a. spezielles Wissen zur erfolgreichen Aufwertung von Straßenrändern in Städten, deren Pflege, und ob sich in diesen besonderen Bereichen der Stadt überhaupt Bestäuberinsekten aufhalten, und wenn ja, welche. Mit diesen Themen haben wir uns im Projekt Blühende Bänder befasst.
Wie haben einen Verbund von Blühflächen in München aufgebaut. Insgesamt haben wir 75 experimentelle Parzellen entlang von fünf großen Verkehrsachsen in der gesamten Stadt angelegt. Die ausgewählten Straßen verlaufen sternförmig von zentralen Bereichen zu den Stadträndern. Als einen der städtischsten Bereiche würde ich z.B. eine Versuchsfläche beim Gasteig bezeichnen, während wir auch Flächen in Solln oder Trudering untersucht haben, wo in den Wohnbereichen ein fast schon dörflicher Charakter vorherrscht.
Wir haben eine Blühmischung aus 26 einheimischen Wildpflanzen konzipiert, deren Pflanzenarten mit den sehr widrigen Bedingungen der Straßenränder zurechtkommen können, und gleichzeitig als Nahrungspflanzen für Bestäuberinsekten attraktiv sind. Diese haben wir in kleine Parzellen eingesät und die Entwicklung der Bestände untersucht. Wir haben uns gefragt, welche Pflanzen sich besonders gut etablieren, welche weniger oder gar nicht? Dafür haben wir auch die Bedingungen vor Ort mit einbezogen. Welchen Einfluss auf die Entwicklung der Flächen hat zum Beispiel die Beschattung durch umstehende Bäume, welchen haben die Bodenverhältnisse?
Die Bestäuberinsekten haben wir mit zwei unterschiedlichen Herangehensweisen untersucht. Eine klassische Methode sind die sogenannten Farbschalen. Das sind Schalen in Blau, Weiß und Gelb, die als Blütenattrappen dienen, und von Juni bis August monatlich für 48 Stunden aufgestellt wurden. Von den Farben wird eine Reihe unterschiedlicher Insekten angezogen, die in einer Fangflüssigkeit landen. Die Tiere konnten wir später im Labor sortieren, auszählen, präparieren und die jeweiligen Arten bestimmen. Eine weitere Methode waren sogenannte Nisthilfen. Das waren Röhren, in die wir viele Schilfhalme eingesetzt haben. In diesen Halmen legen solitäre Wildbienen und Wespen ihre Nester an, genauso wie man es von Insektenhotels vom Balkon oder Garten kennt. Die Schilfhalme konnten wir später öffnen, die angelegten Brutzellen auszählen, und die Arten bestimmen. Die Nester werden dabei nicht zerstört, und so konnten wir nach einer Winterruhe von mehreren Monaten in Klimaschränken den Reproduktionserfolg der Tiere erfassen, wenn sie aus ihren Nestern schlüpften.
Unsere Blühmischung hat entlang der großen Straßen insgesamt sehr gut funktioniert. Bei entsprechender Pflege ließen sich die Straßen erfolgreich zu blütenreichen urbanen Randstrukturen umwandeln. Natürlich gab es auch Flächen mit weniger guter Entwicklung, bis hin zum Ausfall. Das lag unter anderem an sehr hohen Nährstoffgehalten im Boden. Je niedriger der Phosphatgehalt war, desto besser konnten Pflanzen verschiedener Arten wachsen. Das gilt im Übrigen für viele Ökosysteme: Je weniger Nährstoffe in einem System, desto höher die potentielle Vielfalt an Organismen. Auch starker Tritt durch Passanten hat einige Flächen in ihrer Entwicklung gestört. Außerdem konnten wir feststellen, dass die Beschattung durch Bäume oder Gebäude zwar nicht die Vielfalt der Pflanzen, aber die Blütendichte negativ beeinflusste. Aus diesen Ergebnissen lassen sich unterschiedliche Schlüsse für die Praxis ziehen, was Funktion, Anlage und Pflege der Straßenränder betrifft. Besonders erfolgreiche Pflanzenarten waren Gewöhnlicher Natternkopf, Wiesen-Pippau, Wiesen-Flockenblume, Schafgarbe und Hornklee.
Städtische Straßenränder, vor allem solche in großen Städten wie München, kommen einem auf den ersten Blick nicht als besonders attraktiver Lebensraum für Insekten vor. In Farbschalen und Nisthilfen zusammen haben wir aber ungefähr 100 Wildbienen- und Wespenarten gefunden. Auf unseren Versuchsparzellen konnten wir die Anzahl der Arten im Vergleich zu der vorherrschenden grasdominierten Straßenrandbegrünung deutlich steigern. Auch die Anzahl der angelegten Brutzellen stieg mit verbessertem Angebot an Nektar und Pollen an. Die umgebende hatte Landschaft einen großen Einfluss auf die lokalen Artengemeinschaften: Je mehr versiegelte Fläche in einem Umkreis von 500 m oder je näher am Stadtzentrum, desto homogener wurden z.B. die Wildbienengemeinschaften in ihrer funktionalen Zusammensetzung. Das bedeutet, dass wir in verstädterten Gebieten nur noch Tiere mit sehr breiten Anpassungsspektren gefunden haben, was Nist- und Nahrungspräferenzen betrifft. Konkurrenzschwächere Arten, z.B. kleine oder solitäre Tiere mit geringen Reproduktionsraten, konnten den sogenannten „urbanen Filter“ nicht passieren. Diese Arten sind durch die voranschreitende Nachverdichtung stärker betroffen und verschwinden aus diesen Bereichen der Stadt.
Neben der Insektenerfassung haben wir auch den Bestäubungserfolg an mehreren Modellpflanzen untersucht, z.B. an Erdbeerpflanzen. Ich bin zuerst davon ausgegangen, dass diejenigen Pflanzen die schwersten und schönsten Beeren produzieren, die wir in besonders insektenfreundlichen Umgebungen platziert hatten. Es stellte sich heraus, dass es genau umgekehrt war. In den stark versiegelten Bereichen waren die Beeren schwerer und runder, ein Indikator für eine besonders hohe Besuchsfrequenz von verschiedenen Bestäuberarten und eine insgesamt bessere Bestäubungsleistung im Vergleich zu weniger verstädterten Gebieten. Erklären kann man das mit einem Konzentrationseffekt von Bestäuberanflügen an den Einzelblüten der Erdbeerpflanzen. Wegen des geringeren Nahrungsangebots in der Umgebung wurden unsere Modellpflanzen insgesamt häufiger besucht, was die Fruchtbildung anregte. In weniger urbanisierten Gebieten drehte sich dieser Effekt um, die Bestäubungsleistung war dort geringer, da sich die Tiere mehr in der Landschaft verteilten.
Wir konnten durch unser Projekt demonstrieren, dass durch eine Veränderung der Anlage und Pflege von zuvor ökologisch bedeutungslosen Straßenrändern, diese zu stadtweit blütenreichen Netzwerken umfunktioniert werden können. In München sind ungefähr 20 % der Gesamtgrünfläche sogenanntes „Straßenbegleitgrün“. Ein enormes Flächenpotential! – Heimische Wildpflanzen lassen sich besonders gut auf nährstoffarmen Untergründen ansiedeln. Dabei muss natürlich die Mähfrequenz von über zehnmal im Jahr, auf maximal zweimal im Jahr reduziert werden und das Mähgut muss abtransportiert werden. Das bedeutet insgesamt eine Umstellung der Organisation der Grünflächenpflege. Diese Umstellung ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen, könnte aber definitiv ihre Erfolge für die urbane Biodiversität erzielen. Aufgewertete Straßenränder sind als Ersatz für zerstörte oder degradierte Habitate nicht ausreichend. Gerade bei der Überbrückung von stark verdichteten Räumen könnten diese Flächen aber zur Vernetzung von Lebensräumen beitragen.
Referat für Klima-und Umweltschutz
Technische Universität München