„Die Fledermäuse kann man sich wie einen Viren-Speicher vorstellen“, erklärt Virologin Angelica Campos. „Diese Erreger bleiben eigentlich fern von uns Menschen. Zoonosen entstehen immer dann, wenn der Mensch in das natürliche Gebiet der Fledermäuse vordringt und das Gleichgewicht der Natur, in dem die Viren existieren, durcheinanderbringt.“
War dies auch bei der Genese der Corona-Pandemie der Fall – und stellt eine mögliche Erklärung für den Ausbruch dar? Dazu hatte der „Weltspiegel“ im Ersten im vergangenen Oktober einen Beitrag unter dem Titel „Brasilien, die Virenjäger“ gesendet. Zu sehen waren unter anderem Campos und andere Forscher*innen für Zoonosen, wie sie im brasilianischen Regenwald nach neuen Virenarten suchen, die für uns Menschen gefährlich werden können. [1] So hatte die World Health Organisation (WHO) in einer Studie verschiedene Theorien des Pandemie-Ursprungs untersucht und im Frühjahr 2021 abschließend den Anfangsverdacht bestätigt, dass das Corona-Virus höchstwahrscheinlich von der Fledermaus über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen ist. [2]
Auch wenn einige Medien über den Zusammenhang zwischen Corona-Pandemie, Naturzerstörung und Klimakrise berichteten: Die gravierenden Folgen, die das ungehinderte Vordringen der Menschen in die natürlichen Lebensräume mit sich zieht, kommen in der öffentlichen Diskussion nach wie vor zu kurz.
Die Konsequenzen des menschlichen Umgangs mit der Natur machen sich jedoch zunehmend bemerkbar. Spätestens seit der Coronakrise können diese nicht mehr länger ignoriert werden. Expert*innen sind sich einig: Diese Pandemie wird vermutlich nicht die letzte gewesen sein. Vielmehr sieht es so aus, als hätte das Zeitalter der Pandemien gerade erst begonnen. Denn je mehr Naturflächen, insbesondere Regenwälder, der Mensch zerstört, desto näher kommen uns wildlebende Tierarten. Und mit ihnen auch Viren, auf die das menschliche Immunsystem nicht vorbereitet ist.
Karl Lauterbach, Epidemiologe und Gesundheitsexperte der SPD, sieht die Bedrohung der Pandemien als eine der unberechenbaren Folgen des Klimawandels und der Naturzerstörung: „Das ist unstrittig. Die Ursachenbekämpfung liegt vor allem darin, die Umweltzerstörung zu stoppen und den Klimawandel anzuhalten. Ich bin sicher, dass dieses Risiko massiv unterschätzt wird.“ Wenn wir jetzt alle zehn bis 15 Jahre eine schwere Pandemie erleben würden, so Lauterbach, habe das eine solche Disruption auf unsere Leben zur Folge, dass künftige Generationen, eine deutliche Perspektivverschlechterung hätten. [3]
Auch die Biologin und Professorin Dr. Kathrin Böhning-Gese kann bestätigen, dass die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und die Corona-Krise zusammengehören. Die Direktorin des Forschungsinstituts Senckenberg erforscht den Einfluss von Klima- und Landnutzungswandel auf Lebensgemeinschaften von Tieren und deren Wechselwirkungen mit dem Menschen: „Das Hauptproblem ist, dass wir Menschen die Natur übernutzen. Also dass wir aus der Natur sehr viel mehr herausziehen, als sich natürlicherweise regenerieren kann. Das führt dazu, dass der Kohlenstoffdioxidgehalt und andere Treibhausgase in der Luft ansteigen.“ Insbesondere der Landnutzungswandel, so Böhning-Gese, sei ein Problem. [4] Also das Abholzen von Wäldern, deren Flächen dann superintensiv genutzt werden, zum Beispiel zur Massentierhaltung oder zum Futtermittelanbau. „Die arme Fledermaus kann nichts dafür. Die lebt eben, wo sie leben kann.“, erklärt die Biologin weiter. Wenn der Mensch in die Habitate der Tiere vordringe, entständen überall an diesen Schnittstellen neue Gefahren für Pandemien.
Wie zum Beispiel bei der Abholzung der Wälder: Laut dem Globalen Waldzustandsbericht 2020 verschwinden jährlich rund 10 Millionen Hektar Wald, egal ob Regenwald in Südamerika oder Asien oder Buchenwälder in Rumänien. Das entspricht in etwa der Fläche von Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Doch diese Böden setzen nicht nur eine große Menge klimawirksamer Gase frei, sie sind auch der natürliche Lebensraum wildlebender Tiere. Und dort, wo der Mensch den Lebensraum der Tiere zerstört, provoziert er einen massiven Verlust der Artenvielfalt und zwingt gleichzeitig die Wildtiere, der Bevölkerung oder ihren Nutztieren näher zu kommen. So schaffen wir Schnittstellen zwischen Wildtier und Mensch und ermöglichen damit Krankheitserregern, auf uns überzuspringen. Böhning-Gese erläutert: „Pandemien entstehen, wenn eine Epidemie bzw. eine Zoonose global geht. Entweder direkt vom Wildtier auf den Menschen oder indirekt vom Wildtier auf das Nutztier und dann auf den Menschen.“ Wenn dann viele Menschen an einem Ort lebten, die auch noch viel reisen und es sich um eine leicht übertragbare Krankheit handele, dann werde daraus eine Pandemie.
Doch nicht nur importierte Viren haben es durch die globale Klimakrise leichter, sich zu verbreiten: Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass auch Infektionskrankheiten durch den Klimawandel zunehmen werden. Das betrifft in erster Linie Infektionserreger, die es bereits in Deutschland gibt – zum Beispiel Hantaviren, durch Zecken übertragene Erreger wie Borrelien und FSME-Virus oder solche, die sich über Wasser oder Lebensmittel verbreiten können. So warnte das RKI schon 2009 im Bericht „Die Auswirkungen des Klimawandels. Welche neuen Infektionskrankheiten und gesundheitlichen Probleme sind zu erwarten?“, dass ein Temperaturanstieg, aber auch andere klimatische Faktoren und die Zunahme von extremen Wetterereignissen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben werden. Neben den unmittelbaren Folgen von Extremereignissen (etwa Hitzetote) seien langfristig auch die indirekten Folgeerscheinungen von großer Bedeutung. So stünden neben einer wahrscheinlichen Zunahme von Allergien und einer Verschlimmerung bereits bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Atemwegserkrankungen besonders die Infektionskrankheiten im Blickpunkt.
Milde Winter in Verbindung mit einem klimabedingten reichhaltigeren Nahrungsangebot könnten zu wachsenden Nagetierpopulationen und nachfolgenden Hantavirus-Epidemien führen. Statistische Analysen zeigten außerdem einen deutlichen Zusammenhang zwischen Temperatur und der Häufigkeit Lebensmittel-übertragener Zoonoseerreger (zum Beispiel Campylobacter). So wurde bereits damals ein Leptospiroseausbruch bei Erdbeerpflücker*innen in Deutschland durch vorausgehende Starkregenfälle begünstigt.
Das RKI stellt zudem klar, dass bei fortschreitender Erwärmung auch eingeschleppte nicht-einheimische Erreger bessere Bedingungen für die Ausbreitung fänden. Hierzu zählen Krankheiten, die durch Stechmücken übertragen werden wie Chikungunya-, West-Nile-, Dengue-Fieber, Malaria oder Leishmaniose. [5]
Fazit: Klimaschutz und Artenschutz sind kein „Nice-to-Have“, sondern von existenzieller Bedeutung für die Menschheit. Die Coronakrise als besonders drastisches Beispiel zeigt: Wir müssen dringend natürliche Lebensräume für Wildtiere erhalten, insbesondere die Wälder und Regenwälder, denn sie sie die Hotspots der Artenvielfalt und enorme CO2-Senken. Tun wir es nicht, werden der Temperaturanstieg und die Schnittstellen von Wildtieren, Nutztieren und Mensch in unweigerlicher Konsequenz zu weiteren Pandemien führen. Klima- bzw. Umweltschutz ist zugleich also immer auch eins: Menschenschutz.
[1] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/brasilien-die-viren-jaeger-100.html
[2] https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/07/der-ursprung-des-coronavirus-vier-moegliche-szenarien
[3] https://open.spotify.com/episode/7dRCQTIDrTLLKMeiPNFTOm
[4] https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-05/naturschutz-waldsterben-abholzung-umwelt-globaler-waldzustandsbericht
[5] https://www.rki.de/DE/Content/Gesund/Umwelteinfluesse/Klimawandel/Bundesgesundheitsblatt_2009_07.pdf?__blob=publicationFile